Donnerstag, 9. April 2009
Gnadenlos überschätzt

Der FC Bayern München ist spätestens gestern Abend in Barcelona aus einer Seifenblase geschuckt worden, die zu Beginn der Saison mit neuen Trainingsmethoden, neuem Spirit (und Spiritismus) sowie der Dynamik eines Motivators Klinsmann aufwartete. Die Seifenblase ist hart, aus den Tropfen sind Scherben geworden. Das Problem des FC Bayern ist nicht am blonden Bäckerssohn, Sündenbock Rensing oder anderen Einzelpersonen festzumachen. Was zum 1:5 in Wolfsburg und nun zum 0:4 in Barcelona geführt hat, ist die gnadenlose Selbstüberschätzung des Kaders des FC Bayern. Und da kommt man an Michael Rensing nun doch nicht vorbei. Sein größter Triumph in dieser Spielzeit ist, dass er gestern Abend in Nou Camp nicht im Tor stehen durfte. Ansonsten kann man objektiv festhalten, dass er kein schlechter Torwart ist. Aber zum Leidwesen des FC Bayern ist er auch (noch) kein richtig guter Keeper. Fast trotzig trägt er schon seit vergangenen Sommer ein Ich-beweise-es-euch-allen-Selbstbewusstsein durch die Gegend. Allein – es fehlen die entsprechenden Taten. Bei einem kleineren Verein mit kleineren Ansprüchen könnte Rensing tatsächlich eine echte Nummer 1 werden – bei den Bayern muss von der 1 bis zur 11 mindestens gehobene Klasse auf dem Platz stehen. Sein Vertreter Hans-Jörg Butt ist für die Position der Nummer 1 ebenfalls nicht geeignet. Butt ist solide, mehr nicht. Somit hat man sich auf dieser Position falsch eingeschätzt. Ein besserer Keeper und Bayern stünde womöglich bereits auf Platz 1 in der Bundesliga.

Die Abwehr ist, wenn alle gesund sind (und in Form), bis auf die rechte Außenverteidigerposition gut besetzt. Ist mal wer verletzt und/oder außer Form, korrespondiert ein schwacher Torwart mit einer schwachen Abwehr und macht den Trumpf aus der Vorsaison zum Sorgendkind. Breno will immer lässig bei seinen Aktionen aussehen, macht dabei aber mehr Fehler als ein Amateur. Denn der spielt nur, was er auch wirklich kann. Massimo Oddo muss ohne jede Verhandlung zurück über die Alpen geschickt werden. Bei aller Symphatie für den Mann, der sicher auch zum Wohlbefinden Luca Tonis' beigetragen haben düfte: Er ist nur ein Ergänzungsspieler. Das fördert nicht gerade den Konkurrenzkampf, der eine Mannschaft im Klinsmannschen Sinn besser macht.

Das Mittelfeld ist zu sehr von der Links-Achse Ribery, Philipp Lahm und Ze Roberto abhängig. Das macht das Bayernspiel durchschaubar und damit gegen stärkere Gegner uneffektiv. Mit Van Bommel steht ein Mann auf der Sechser-Position, der sich zwar nichts gefallen lässt und nie aufgibt, dessen fußballerisches Vermögen allerdings mit seiner Attitüde nicht schritthalten kann. Altintop ist zu oft im Behandlungsraum und Tim Borowski hält sich für zu gut, als dass er seine Chancen nicht nur mit gelegentlichen Toren, sondern auch mit großem Kampf nutzen würde. Es stimmt schon: Talent schlägt Arbeit. Aber nur, wenn Talent hart arbeitet. Das tun die Bayern zu wenig. Es ist kein Kampfgeist in dieser Mannschaft, die sich auch fragen lassen muss, ob sie diesen Namen verdient. Wenn auf den Tisch gehauen wird, um ein Signal zu setzen, wirkt dies immer vereinzelt und hilflos, egal welcher Spieler das tut. Bastian Schweinsteiger kann keiner dieser Spieler sein – zu oft ist er mit sich selbst beschäftigt. Das Ich ist groß in dieser Mannschaft. Das Wir kommt nur im Misserfolg zum Zug.

Nach dem Debakel von Barcelona sind die Stimmen der Spieler alle im Wir formuliert. Von einem gestandenen Profi muss man nach so einer Schmach gnadenlose Selbstkritik erwarten können. Dafür kann Jürgen Klinsmann nichts, dafür ist er nicht lange genug da, und dafür ist dieser Kader auch noch zu sehr der seines Vorgängers. Die aktuelle Situation im Kader gibt Klinsmann Recht: man hätte Landon Donovan bis zum Saisonende behalten sollen. Kloses Verletzung trifft die Bayern im Moment hart. Luca Toni braucht einen Klassespieler neben sich, der auch mal arbeitet und vorbereitet. Das wäre Donovan zumindest ansatzweise gewesen. Podolski scheint momentan nur damit beschäftigt, auf dem Platz nichts Schlechtes zu träumen. Und auch ein Luca Toni ist nicht frei von Kritik. Seine Art Fußball zu spielen ist in Strafraumnähe die richtige. Aber er benötigt viele Mannschaftskollegen, die für ihn arbeiten. Für die Ausgangslage gestern in Barcelona war er definitiv der falsche Stürmer. Die Bayern waren taktisch so weit weg von Barcas Tor aufgestellt, dass Luca Toni doppelt so schnell sein müsste und doppelt so viel laufen müsste, als er es normalerweise tut. Vielleicht hat sich Jürgen Klinsmann taktisch überschätzt. Seine Spieler tun dies schon die ganze Saison.

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